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Eindrücke aus meiner Indien-Reise (4)

07.03.2023

Wenn goldene Schuhe vom Himmel fallen

Wir sind noch bei den Hochzeitsvorbereitungen. Mein Sari und mein Kurta-Kleid für den ersten Tag (denn mit einem Outfit ist es hier nicht getan) sind endlich vom Schneider fertig genäht. Denn so macht man es hier. Natürlich gibt es auch Kleider von der Stange, aber von einer Bräutigammutter wird erwartet, dass sie in einem guten Geschäft aus schönem Stoff alles nähen lässt. Nun ja, einmal im Leben.

Ich habe meine „guten“ Festschuhe dabei – ein neutrales, partybewährtes Modell. Denn ich gehöre zu den Frauen, die keine Schuhsammlung besitzen, sondern es eher verabscheuen, Schuhe zu kaufen. Schuhe müssen für mich bequem sein, lauftauglich – ihr wisst schon. Aber nein, diese Schuhe gehen nicht bei den prüfenden Blicken durch. Da ist ja gar kein Silber, geschweige denn Gold dran. Also auf in die Schuhgeschäfte – zusammen mit der Braut, die auch noch keine Schuhe hat. Überall glitzert und glänzt es. Lauter Schuhmodelle, mit denen ich in Norwegen keine fünf Meter laufen könnte (daran messe ich persönlich die Tauglichkeit von Schuhen), die keinen Tropfen Regen oder gar etwas matschigen Boden aushalten würden.

In einem Geschäft geht es zu wie auf einem großen Bazar. Kunden und Angestellte springen hin und her. Offenbar haben alle Kundinnen auch noch die ganze Verwandtschaft mitgebracht. In der Mitte bilden die begleitenden Männer schon eine kleine Gruppe, unterhalten sich angeregt und lassen sich Tee servieren. Überall wird nicht nur gerufen, sondern regelrecht geschrien. Der Boden ist übersäht mit Schuhen, ein absolutes Chaos. Ich setze mich völlig erschöpft und fassungslos hin und frage mich, wo ich eigentlich gerade bin. Und merke dann erst, dass Schuhe von der Decke runterfallen. Dort gibt es ein Loch und im oberen Stockwerk befindet sich offenbar das Lager. Also wird den Kollegen dort das gewünschte Modell zugerufen und dann gilt nur noch fangen zu können. Zurück gehen die nichtgewollten Schuhe übrigens durch das gleiche Loch – weshalb man wieder schreien muss, sonst fängt der Kollege dort oben sie ja nicht auf und die Schuhe würden auf unsere Köpfe fallen…

Vollkommen überwältigt kaufe ich dort meine allerersten Glitzerschuhe, die ich nach dieser Hochzeit wohl nie wieder anziehen werde. Oder doch? So langsam färbt nämlich das bunte Indien etwas auf mich ab…

 

Eine indische Hochzeit

Dann ist der Tag der Hochzeit gekommen. Oder sagen wir lieber „die Tage“. Eine indische Hochzeit wird nicht selten über 5 Tage gefeiert. Das war unserem Brautpaar zu viel und sie haben es mit viel Mühe und intensiven Verhandlungen mit der indischen Familie auf zwei Tage geschrumpft. Oder eher drei. Denn es fängt damit an, dass die Braut am Vortag der Feier zu Hause über Stunden kunstvoll mit Henna bemalt wird. Enge Freunde und Verwandte sind dabei und so nimmt die Feier langsam ihren Lauf. Wir ahnen jetzt schon, dass es hier viel um Gemeinschaft gehen wird.

Von den folgenden zwei Tagen möchte ich nur einige Fragmente mit euch teilen. Es geschah so viel und die Erlebnisse waren so vielschichtig und bewegend, dass ich seitenweise dazu etwas schreiben könnte. Und dennoch fehlen mir für vieles immer noch die Worte.

Am ersten Tag kommt die Großverwandtschaft der Braut zum ersten Mal mit den Verwandten des Bräutigams zusammen, die aus Norwegen und Deutschland angereist sind. Es ist eine sehr herzliche und offene Begegnung über alle kulturellen und sprachlichen Barrieren hinweg.

Fast alle tragen traditionelle indische Kleidung. Auch die Ausländer haben sich ausnahmslos neu eingekleidet. Die Männer oft in einem langen Kurta-Hemd mit einer Nehru-Jacke drüber. Die Frauen entweder auch in einem langen Kurta-Kleid mit Hosen und Dupatta-Schals oder in Saris. Fast alle in starken Farben mit viel Glitzer und natürlich mit üppigem Schmuck. Meine Glitzerschuhe kommen zum Einsatz und auch viele Männer haben sich in ihrer Schuhwahl nicht zurückgehalten.

Mit dem Sari-Binden haben wir allerdings fachkundige Hilfe gebraucht, denn versuche mal, allein mit 6 Meter Stoff klarzukommen.. Hier meine norwegische Schwiegertochter in ihrem allerersten Sari.

Der große Garten ist festlich mit bunten Stoffbahnen, Lichtornamenten, Blumen und Girlanden geschmückt und wir bekommen langsam ein Gefühl von 1001 Nacht.

Dazu tragen auch Tänzerinnen aus Rajasthan bei, die sogar mit brennenden Feuerschalen auf ihren Köpfen ihre traditionellen Tänze vorführen.

Jetzt werden auch die Gäste mit Henna bemalt. Dieses Angebot ist traditionell vor allem für die Hände der Frauen gedacht, aber einige der Männer wollen sich auch gern schmücken lassen. So wird jeder in den kommenden Wochen erkennen, dass wir auf einer Hochzeit waren.

 

Zuerst findet das „Haldi“ statt. Dabei sitzt das Brautpaar in großen, goldenen Schalen und werden mit einer Paste aus Kurkuma und Milch betupft. Die Mütter stehen hinter den beiden, bedecken ihre Köpfe mit den Enden ihrer langen Dupatta-Tücher als Zeichen ihres Segens. Es werden viele Segen während dieser Hochzeit folgen, aber die Mütter segnen als erste. Nahe Verwandte und einige Freunde betupfen das Brautpaar an den Gelenken – Füsse, Knie, Hände, Schulter – als Symbole für den Übergang in etwas Neues – und zum Schluss auf die Stirn. Ein sehr kraftvolles und bewegendes Ritual. Und wieder einmal muss in diesem patriarchalischen Land betont werden – es sind die Mütter, die als erste das Brautpaar segnen…

Wir feiern noch lange mit Tanz und dampfenden Töpfen voller indischer Köstlichkeiten.

Am nächsten Tag wird der Bräutigam in einer von zwei Pferden gezogenen blumengeschmückten Kutsche von seiner tanzenden Verwandtschaft und Freunden unter lauter Trommel- und Blasmusik zur Familie der Braut begleitet, wo er und seine nahen Verwandten offiziell von der Brautfamilie begrüßt werden.

Uns werden Blumenkränze um den Hals gehangen und wir bekommen ein Segenszeichen auf die Stirn. Hier heiraten nicht nur zwei junge Menschen, sondern zwei Großfamilien werden zusammengeführt.

Anschließend erscheint die Braut unter einem blumengeschmückten Baldachin.

Die Trauungszeremonie findet in einem Mandap statt – ein Altarraum umgeben von vier Säulen, die man nur ohne Schuhe betreten darf. In der Mitte brennt ein Feuer und symbolisiert  Agni - Gott des Feuers. Agni soll eine direkte Verbindung zu den kosmischen Kräften herstellen. Im Laufe der Zeremonie werden die langen Tücher des Brautpaars lose miteinander verbunden und sie gehen sieben Mal um das Feuer herum. Dabei dürfen die Tücher sich nicht lösen.

Wir werden Zeugen eines kleinen, interessanten Intermezzos. Während der langen Trauungszeremonie durch einen hinduistischen Priester in einem wohl auch für hindisprechende Menschen schwer verständlichen religiösen Sprache mogelt er einige alte Gelübde hinein, die ausdrücklich vom Brautpaar nicht gewünscht waren. Dabei geht es um die Gehorsamkeit und Unterwürfigkeit der Braut. Aber nix da…die Brautjungfern unterbrechen die Zeremonie an mehreren Stellen lautstark (man stelle sich das mal in einer christlichen Kirche vor…) und sorgen dafür, dass die Braut diese Sätze auf gar keinen Fall bestätigt, sondern für sich selbst stimmig umformuliert – und der Priester akzeptiert es. Die Zeiten haben sich geändert.

Einzelne Familienmitglieder haben ihre eigenen Rollen während dieser Zeremonie. Nicht nur segnen die Eltern das Brautpaar, sondern die ältesten Familienmitglieder werden mit einer besonderen Würdigung in der Zeremonie geehrt. Es wird auch nicht nur die Verbindung zu den Eltern und Geschwistern betont, sondern auch zu den Großeltern und Urgroßeltern, die alle namentlich genannt werden.

Alles begleitet von langen Gebetstexten, Mantren, Musik, Räucherwerk, Rosenblättern, symbolischen Gesten und Gegenständen, von denen wir nur Fragmente verstehen.

 

Die zwei Tage enden mit einem großen Empfang, Musik und Tanz – und natürlich mit üppigem indischen Essen.

Ein rauschendes Fest für alle Sinne – und nicht zuletzt für die Herzen aller Beteiligten.

 

Was habe ich erkannt?

Dass es sich lohnt, nicht nur in Indien, sondern auch für uns in Europa, einen neuen Blick auf die alten Riten zu werfen. Nicht immer sind sie noch für uns stimmig. Dennoch haben viele eine große Kraft und sollten nicht einfach fallengelassen werden, sondern von uns in neue Formen umgestaltet. In Europa haben wir kaum Riten, die die Generationen vor uns würdigen, die die Älteren der Familie besonders wertschätzen, die Geschwister, Tanten, Onkel bewusst mit hineinnehmen als großer, unterstützender Kreis für das junge Paar. Sie sind nicht allein.

Dass es sehr tiefgreifend sein kann, wenn sich zwei Großfamilien bewusst miteinander verbinden – gerade in unserem Fall, wo wir über Länder und Kontinente verteilt sind. Welch ein Reichtum es ist, die eigene Familie öffnen zu dürfen für so viele neue Menschen und von anderen herzlich angenommen zu werden.

Und ich habe wieder einmal erkannt, wie machtvoll ein Segen sein kann.

Und wie sehr unsere Herzen von den so ganz und gar nicht alltäglichen Festen genährt werden…

 

Hier endet meine kleine Reihe über meine Erlebnisse in Indien. Obwohl ich noch so viel erzählen könnte… Vielleicht gibt es mal einen kleinen Nachtrag?

Hast du die ersten Teile der Reihe verpasst? Dann findest du sie hier:

https://www.vera-bartholomay.com/blog/indien-reise-1

https://www.vera-bartholomay.com/blog/indien-reise-2

https://www.vera-bartholomay.com/blog/eindruecke-aus-meiner-indien-reise-3

 

 

 

Kategorien: Lebensfragen

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Kommentare

Martina sagt:

07.03.2023 um 21:32 Uhr

Wunderschöne Eindrücke!
Danke liebe Vera und dem jungen Brautpaar reichen Segen für ein erfülltes gemeinsames Leben❤️

Antworten

Vera Bartholomay sagt:

13.03.2023 um 15:23 Uhr

Danke dir! Gruß, Vera

Martina sagt:

07.03.2023 um 21:32 Uhr

Wunderschöne Eindrücke!
Danke liebe Vera und dem jungen Brautpaar reichen Segen für ein erfülltes gemeinsames Leben❤️

Antworten

Andrea Erhard von http://www.andreaerhard.de sagt:

07.03.2023 um 17:01 Uhr

Danke liebe Vera, dass Du uns an Deinem persönlichen Familienfest teilhaben hast lassen. Was für eine einzigartige Erfahrung, die nicht viele aus unserem Kulturkreis machen können!

Antworten

Vera Bartholomay sagt:

13.03.2023 um 15:24 Uhr

Danke dir, liebe Andrea! Ja, es war schon etwas ganz Besonderes! Gruß, Vera

Margitta sagt:

07.03.2023 um 16:15 Uhr

Liebe Vera, Deine geteilten Reiseerlebnisse berührten mich sehr - und dann auch Deine Erkenntnisse daraus für unsere Kultur. Wir haben allein geheiratet - heute bedaure ich das. Wie bedeutsam hätte ein Segen für uns sein können. Danke herzlich

Antworten

Vera Bartholomay sagt:

13.03.2023 um 15:27 Uhr

Liebe Margitta,

das kann ich gut verstehen, früher haben wir schon anders darüber gedacht. Aber umso wichtiger wäre es dann, den Segen einen Platz im heutigen Leben zu geben. Egal in welcher Form. Gruß, Vera 

Tanmaya Bhatnagar Bartholomay sagt:

07.03.2023 um 12:05 Uhr

This was such a beautiful piece. It is so nice to be able to re-live this day through your eyes. I laughed and I shed some tears. We love you so much!
hugs

Antworten

Vera Bartholomay sagt:

13.03.2023 um 15:29 Uhr

Dear Tanmaya, it was such a big gift for us all to be able to be a part of it all - from shoes to wows :) Big hugs to both of you! Vera

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