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Was ist wirklich wichtig?

12.08.2021

Meine norwegische Hütte liegt an einem Küstenstreifen mit kleinen, pittoresken Dörfern, die für ihre weißgestrichenen, alten Holzhäuser in kleinen, verwinkelten Gassen, für Fischerboote und Möwengeschrei bekannt sind. Diese Orte sind beliebte Ferienziele für norwegische Großstädter und auch so manche ausländischen Touristen.

Das nächstgelegene dieser Dörfer ist nur eine überschaubare Fahrradstrecke entfernt. Und dennoch halte ich mich in den Sommermonaten meist fern. Zu groß der Trubel, zu anders das Leben dort. Wenn ich in meiner einsamer gelegenen Hütte bin, falle ich derart in eine andere Welt hinein, dass ich mir gar kein anderes Leben vorstellen kann. Was macht man eigentlich in einer Stadt? Außer gelegentlich ein paar Lebensmittel einkaufen oder Baumaterialien für die morsche Wand. So erreicht mich der Touristentrubel in der Regel so ganz und gar nicht.

Es gibt davon nur wenige Ausnahmen, und diese werden zelebriert. An mindestens einem Tag im Sommer mache ich mich auf den Weg ins Dörfchen, kauf mir ein Eis und setze mich in den Hafen. Dort schaue ich mich die Sommergäste an, die mit ihren Booten von den umliegenden Inseln ankommen. Fröhliche Kinder mit Schwimmwesten. Eltern, die „wir haben Zeit“ ausstrahlen. Ältere Menschen, die sich etwas langsamer in den Booten bewegen und erst recht Zeit haben. Ist der Makrele schon gekommen? Wie viele hast du schon geangelt? Wichtigere Fragen gibt es heute eigentlich nicht. Fernsehen? Was ist das? Uhren? Schaut doch zum Himmel, wo die Sonne gerade steht.

Zwischendrin aber auch ein paar Großstädtler (das heißt hier fast immer aus Oslo), die immer noch nicht verstanden haben, dass es hier nicht um Markenklamotten und schicke Sonnenbrillen geht. Die immer noch nicht aufgehört haben, nach „wichtigen“ Menschen Ausschau zu halten oder abzuklären, welches Restaurant hier das Angesagteste ist. Oder die im Hafen auf ihren teuren Yachten sitzen und so tun, als würden sie nicht auf die Blicke der Hafenbesucher achten. Die dennoch sehr wohl prüfen, ob ihre Yacht im Vergleich mit den anderen immer noch toll genug, teuer genug, immer noch größer ist als die nebenan liegenden? Menschen, die etwas darstellen wollen. Die in einem Land mit langen Wintern etwas kaufen, was sie nur wenige Wochen im Jahr wirklich nutzen können. Mit der ein längerer Ausflug schon an Benzinkosten so viel kostet, wie andere Menschen in einem ganzen Monat verdienen.

Gleich daneben liegt ein altes, aber liebevoll instandgehaltenes Holzboot. Ein Ergebnis unendlich vieler Stunden mit Schleifpapier und Lack. Heute finanziell aber kaum etwas wert, denn Holz ist nicht länger “in“ unter den Bootsbesitzern.

Und dennoch - rate mal, vor welchem Boot die Leute stehen bleiben? Wo sie einen sehnsuchtsvollen, nostalgischen Blick bekommen und sich vielleicht fragen, warum wir uns nicht lieber auf die Langsamkeit eines tuckernden alten Holzboots einlassen. Mit dem wir zwar eine sehr begrenzte Reichweite haben, unterwegs aber Dinge sehen, die von den hohen und schnellen Yachten aus nicht mehr wahrgenommen werden. In dem wir das Tuckern des alten Dieselmotors schon fast wie ein meditatives Mantra auf unser Gemüt wirken lassen können. In dem wir sofort in alte Kindheitserinnerungen von unendlichen Sommern eintauchen.

Und uns wieder einmal fragen dürfen: Was ist wirklich wichtig?

 

 

Schlagworte: Lebensfragen, Norwegen, Stille

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Kommentare

Gabriele Geiger sagt:

27.08.2021 um 11:50 Uhr

Liebe Vera,
jetzt sagt mein Herz, es ist Zeit mal wieder in (einen sogenannten "wirklichen")Kontakt mit dir zu treten.
Es ist balsamisch Deine Inspirationsbriefe zu lesen und immer ergeben sie einen kleinen Seelenurlaub in meinem Inneren. Danke dafür und Namasté von Gabriele

Antworten

Vera Bartholomay sagt:

27.08.2021 um 11:58 Uhr

Liebe Gabriele,

ich danke dir für diese lieben Worte!

Und vielleicht schaffen wir sogar mal wenigstens demnächst ein Telefonat, wenn wir uns schon räumlich nicht treffen können.

Alles Liebe, Vera

Claudia sagt:

25.08.2021 um 13:09 Uhr

Hallo Vera,
lange hast Du von mir persönlich nichts gehört aber ich verfolge immer aufmerksam deine Inspirationsbriefe. Sie tun mir immer sehr gut, so auch dieser. Vielen Dank für diese wohltuende Auszeit im trubeligen Schulalltag. Liebe Grüße, Claudia

Antworten

Vera Bartholomay sagt:

25.08.2021 um 13:59 Uhr

Liebe Claudia,

das freut mich! Es ist immer wieder schön zu hören, dass meine Texte etwas in anderen Menschen bewegen.

Herzlichst, Vera

Nicole von http://www.nicole-naomi.de sagt:

18.08.2021 um 07:53 Uhr

Guten Morgen, Vera. Vielen Dank für den Ausflug in eine andere Welt, das hat mir sehr gut getan. Obwohl ich noch nie in Norwegen war, hatte ich wunderschöne Bilder vor Augen und konnte den Wind auf der Haut spüren :)

Liebe Grüße, Nicole

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Vera Bartholomay sagt:

18.08.2021 um 12:55 Uhr

Liebe Nicole,

es freut mich, dass ich dich ein Stück weit mitnehmen konnte! Herzlichst, Vera

Kämpf sagt:

20.08.2021 um 15:32 Uhr

Hallo vera, lang ists her dass ich bei dir in saarbrücken auf einem seminar war. In Gedanken bin ich neben dir. Ich sitze hier auf dem campingplatz am brombachsee. Beobachte die Gäste und kann deine geschichte 1 zu 1 übertragen. Schön dass es menschen wie dich gibt, die auch die welt einmal anders sehen können. Leider ist es für manche menschen schwer uaf ihr inneres zu hören. Das muss man manchmal wieder lernen. Wünsche dir noch schöne Tage. Viele Grüße marita

Vera Bartholomay sagt:

21.08.2021 um 11:04 Uhr

Liebe Marita, schön, von dir zu hören und dass du Ähnliches beobachtest. Dir eine gute Zeit auf dem Campingplatz und hoffentlich bis bald! Liebe Grüße, Vera

Sabine Büngener-Holder sagt:

16.08.2021 um 12:37 Uhr

Liebe Vera,
was für ein wunderschöner Text...nein, was für ein wunderschöner Zustand!
Vor meinem Berliner Fenster tobt der Verkehr...aber für einen Moment war ich in deinem Hafen, ganz nah.
Ich werde später mit dem schönen alten Boot durch die Bucht tuckern und mir dann noch ein Eis gönnen.
Hab eine wunderschöne Zeit weiterhin!

alles Liebe,
Sabine

Antworten

Vera Bartholomay sagt:

16.08.2021 um 15:43 Uhr

Liebe Sabine,

wie schön, dass ich dich mitnehmen konnte! Sozusagen direkt aus Berlin in den Grimstader Hafen :)

Herzlichst, Vera

Michaela Lutz sagt:

14.08.2021 um 13:56 Uhr

Danke Vera für die kurze Reise. Ich saß mit dir im Hafen, ein Eis essen, den Booten zu schauen, die Möwen hören, das Meer riechen, den blauen Himmel sehen - eintauchen in eine Welt, wo nur der Augenblick zählt. Das ist für mich ein wichtiger Moment, auch wenn es ihn in der Realität nicht gab.

Antworten

Vera Bartholomay sagt:

14.08.2021 um 18:18 Uhr

Liebe Michaela,

wie schön, dass wir zwei tatsächlich schon einmal gemeinsam im Hafen Eis gegessen haben :)
Du bist hier tatsächlich auch so in meinen Gedanken, da wir uns ja demnächst über ein wichtiges Thema für mein neues Buch unterhalten wollen... Alles Liebe, Vera

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